Das Wunder der grünen Hölle
Jede Menge Glück im Unglück hatten Dietmar Plath uns seine Begleiter, als die kleinen Wasserflugzeuge, mit denen sie auf einem Fotoflug unterwegs waren, 1993 im undurchdringlichen Dschungel von Französisch Guayana abstürzten.
Der nachfolgende Artikel von Dierk Strohmann erschien am 13. Dezember 1993 im Hamburger Abendblatt:
Das Wunder in der grünen Hölle
Zwei Hamburger stürzen mit Wasser-Flugzeugen im Urwald ab
Zwanzig Minuten hat Dietmar Plath Zeit, sich auf seinen sicheren Tod zu konzentrieren. Er sitzt in einer kleinen einmotorigen Maschine und kreist über der grünen Hölle des Urwaldes von Guayana. Er weiß, wenn der Tank leer ist, werden er und sein Pilot abstürzen. So wie sein Freund Gunter Hartung, der bereits vor wenigen Minuten mit seiner Maschine in die Baumwipfel gerast ist, und von dem es zu diesem Zeitpunkt kein Lebenszeichen gibt. Wie es dazu kam und wie alles weiterging, warum gleich mehrere Wunder geschehen mussten, damit niemand ums Leben kam, schildert diese Geschichte:
Alles begann in Cayenne, der Hauptstadt von Französisch-Guayana im Norden Südamerikas. Es war ein strahlender Morgen an diesem 11. Oktober, als Dietmar Plath (39), Sprecher der deutschen Aerospace in Finkenwerder, sein Kollege Marc Eberle (32) und der NDR Fernsehmoderator Gunter Hartung (51) mit drei einmotorigen Wasserflugzeugen der privaten Fluggesellschaft „Fun Air“ starteten.
Ihr Ziel: die Wasserfälle von Grand Kanori – mitten im Dschungel. Die drei befanden sich auf einer Reise zur europäischen Ariane-Raketenstation in Kourou und wollten einen kleinen, touristischen Abstecher ins Landesinnere machen – harmlos, so dachten sie.
Abenteuerliches Fliegen auf dem Fluss Approuague.
Eine Nacht in der Lodge Saut Athanase, dann 100 Kilometer den Fluß Approuague entlang, ein paar Stunden in Grand Kanori und wieder zurück. Sie hatten erfahrene Piloten und mit zwei kanadischen Coyotes und einem Weedhopper sicheres, gut gewartetes, bewährtes Fluggerät.
Bis Grand Kanori ging alles gut. Dann zog, in den Tropen nicht selten, ganz plötzlich schlechtes Wetter auf. Meilenweit von jeder Zivilisation entfernt, gibt es keine Wetterstation. So stieg eine der Maschinen alle halbe Stunde auf, um die Lage zu peilen.
Kann man fliegen oder nicht?
Das idyllische Camp Saut Athanase.
Beim dritten mal entschieden die Piloten: Wir versuchen es. Die Maschinen starteten und flogen den Fluß entlang. Der Fluß ist für sie die Lebensader. Er ist die einzige Orientierungsmöglichkeit in einem grünen Meer riesiger Baumwipfel. Und nur auf
dem Fluß kann ein Wasserflugzeug sicher landen. Zehn Minuten nach dem Start versperrte den drei kleinen Flugzeugen eine
Regenfront quer über dem Approuague den Weg. Hineinfliegen hieße sich verirren, da in tropischem Platzregen alles was mehr als zwei Meter Entfernung ist, zu einem einzigen grauen Wasserfall wird. Also herumfliegen. Aber nach wenigen Metern war klar: Keine Chance, die Front war zu groß. Also zurück. Aber hier war inzwischen eine andere Front aufgezogen. Der Fluß war weg.
Aus, vorbei.
Dietmar Plath und Pilot Alain Bayol an den Wasserfällen von Grand Kanori.
Die sechs Männer in den drei Maschinen wussten, was dies bedeutete. Sie hatten für vielleicht eine halbe Stunde Sprit, der eine mehr, der andere weniger. Dann war der Absturz unvermeidlich.
Gunter Hartung und seinen Piloten erwischte es als erste.
„Als ich Gunter zwischen den Baumwipfeln verschwinden sah“, erzählt Dietmar Plath, „war für mich sicher: Gunter ist tot.“
Wenige Minuten vor dem Crash in den Dschungel.
Ihm blieben noch zwanzig Minuten, der dritten Maschine vielleicht ein paar Minuten mehr.
„20 Minuten ist eine unendliche lange Zeit. Wir redeten kaum. Ich dachte an meine Familie, meine Frau, meine Kinder, was sie wohl machen, wenn ich nicht mehr da bin. Ich dachte, du hattest eigentlich ein schönes Leben. Schade, dass es zu Ende geht. Ich war ganz ruhig. Keine Panik. Und dann war da immer wieder Hoffnung, dass der Himmel plötzlich aufreißt, dass da der Fluß ist, daß wir landen können. Und dann dachte ich wieder: Gunter ist tot.“
Aber der Himmel riss nicht auf. Dietmar Plath stürzte ab:
„Ich sah die Baumkronen auf uns zurasen, dann ein ohrenbetäubendes Krachen, ich wurde hin und her gewirbelt, und dann war alles dunkel.“
Das Flugzeugwrack, nachdem es in die Baumwipfel gestürzt war und dann 50 Meter auf den Boden.
Was dann mit Dietmar Plath geschah, ist nicht sicher, denn er erinnert sich nicht mehr daran. Er muß sich irgendwie aus dem Flugzeug gelöst haben, muß den Boden erreicht haben, muß dann durch einen kleinen Tümpel gewatet sein. Dabei rief er immer wieder
„Gunter, Gunter“.
Marc Eberle war mit dem dritten Flugzeug inzwischen auch abgestürzt. Er war, wie sein Pilot und der von Dietmar Plath unverletzt. Ein unerklärliches Wunder. Aber es war nur das erste. Das zweite war, dass der schwerverletzte Dietmar Plath in die Richtung der anderen abgestürzten Flugzeuge taumelte und nicht irgendwo anders hin. Das dritte Wunder war, dass sie alle lebten und sich gefunden hatten.
Der Tod schien absolut sicher.
Eine Nacht mussten Dietmar Plath und Gunter Hartung im Dschungel verbringen. Dietmar Plath weiß noch nicht, dass er sich vier Nackenwirbel gebrochen hat.
Gunter Hartung war eine Sehne in der Schulter gerissen, er hatte schwere Prellungen und eine tiefe Fleischwunde am Bein, der Pilot war lebensgefährlich verletzt. Drei Rippen waren in die Lunge eingedrungen, und er war eingeklemmt im Cockpit.
Dietmar Plath hatte sich vier Nackenwirbel gebrochen, zwei davon kompliziert. Aber das wußte er zu diesem Zeitpunkt noch nicht.
Er wusste nicht, dass jede kleine unglückliche Bewegung seinen augenblicklichen Tod bedeutet hätte.
„Ich hatte Schmerzen im Halsbereich, aber ich dachte, es sei ein Schleudertrauma. Da es für mich am angenehmsten war, wenn ich mich stocksteif hinsetzte, tat ich wohl instinktiv das Richtige.”
Es schien absolut sicher, dass die sechs Männer im Dschungel umkommen würden. Kein Trinkwasser, keine Nahrung in einer feindlichen Umwelt mit Giftschlangen, Krokodilen, Piranhas und kleinen, gelben Fröschen, deren haut so giftig ist, dass die Berührung einen verwundeten Menschen sofort tötet. 800 Meter, so rechnet man, schafft eine mit Macheten gut ausgerüstete Truppe am Tag. Und die sechs waren mindestens 100 Kilometer von der nächsten menschlichen Siedlung entfernt. Und sie hatten noch nicht einmal ein Messer. Aber das waren noch nicht alle Wunder dieses Tages.
Am nächsten Tag waghalsige Rettung mit einem Hubschrauber der französischen Armee.
Die Piloten hatten ständig Notrufe gesendet. Aber die Maschinen konnten nicht hoch genug fliegen, dass sie in Cayenne empfangen werden konnten. Und so gingen alle „Maydays“ ins Leere. Bis auf einen: Kurz bevor die Maschine von Gunter Hartung abgestürzt war, hatte der Pilot noch einmal gesendet. Und dieser Funkruf erreichte eine Boeing 747 der Air France in Landeanflug auf Cayenne. Sie flog deshalb in der richtigen Höhe. Zweimal in der Woche fliegt die Air France den Airport von Cayenne an. Es war genau der richtige Zeitpunkt.
Aber das war noch nicht alles.
Gleichzeitig näherte sich von Nordwesten eine Transall der französischen Luftwaffe Cayenne. Sie hatte zwar den Notruf nicht gehört, bekam aber das Gespräch zwischen der Boeing und dem Tower mit. Es war höchst ungewöhnlich, aber die Transall von Kapitän Jean-Michel Leydevant hatte noch für zweieinhalb Stunden Treibstoff an Bord. Kurzentschlossen ging die Besatzung auf die Suche nach den Vermissten. Aber es war so, als wollte man zwischen Hamburg und Bremen aus der Luft bei Nebel ein Auto mit einem bestimmten Kennzeichen finden. Hoffnungslos. Zu diesem Zeitpunkt waren nur noch Marc Eberle und sein Pilot in der Luft. Und sie hatten nur noch wenige Sekunden Sprit, als plötzlich die Transall über Ihnen war. Mit einer letzten Anstrengung zog der Pilot sein Gerät ein letztes Mal nach oben. Mit Erfolg: Die Tansall-Besatzung sah, wie das kleine Flugzeug in den Dschungel stürzte.
Eine Woche Aufenthalt mit Notversorgung im Tropenkrankenhaus von Cayenne.
Stunden später schickte die französische Armee mit Hubschraubern drei Soldaten und einen Sanitäter. Die letzte Leuchtkugel hatte ihnen den genauen Absturzort gezeigt. Es folgte eine Nacht zwischen Hoffen und Bangen. Und es folgte am nächsten Tag eine dramatische Rettungsaktion, bei der die Piloten des Rettungshubschraubers eine fliegerische Meisterleistung vollbringen mussten, um unterhalb der Wipfel der 50 Meter hohen Urwaldriesen das nur 40 Meter lange Rettungsseil benutzen zu können. Durch die rotierenden Hubschrauberblätter entstand dadurch eine Art Wirbelsturm, der armdicke Äste durch die Luft wirbelte. Einer dieser Äste traf Gunter Hartung noch am Kopf. Aber das zählte alles nicht mehr viel. Sie waren gerettet.
Rücktransport in einer Air France 747 unter ärztlicher Aufsicht nach Deutschland.
Die Schwere der Verletzung von Dietmar Plath wurde erst im Hospital in Cayenne entdeckt. Er wurde in Begleitung eines Arztes nach Hamburg gebracht und erst im Unfallkrankenhaus Boberg, nachdem er ein Spezialgerät zur Stützung der Wirbelsäule erhalten hatte, war er außer Lebensgefahr. Jetzt muß er noch sechs Wochen mit diesem Gerät herumlaufen. Aber es geht ihm gut. Auch Gunter Hartung hat sich von seinen Verletzungen erholt. Alain Bayol, der Pilot, schwebte lange zwischen Leben und Tod, aber auch er ist über dem Berg.
Dietmar Plath weiß noch nicht, ob Gunter Hartung und er ihre dramatische Rettung eines Tages einmal in Buchform veröffentlichen werden. Das wäre nicht ungewöhnlich, denn sie haben schon einige Bücher zusammen geschrieben – Spezialgebiet Luftfahrt und Papua-Neuguinea.
Dietmar Plath arbeitet an seinem neuesten Buch-Projekt. Es handelt von der Romantik des Fliegens. Er wird es Jean-Michel Leydevant und der Transall-Besatzung widmen.
Jean-Michel Laydevant, Kommandant der französischen Transall, erhielt am 13.12.1995 in der Deutschen Botschaft in Paris das Verdienstkreuz am Bande des Niedersächsischen Verdienstordens, da er durch sein entschlossenes Handeln maßgeblich zur Rettung der Verunglückten beigetragen hatte.